Historische Handschriften
Aus dem 12. und 13. Jahrhundert sind nur sehr wenige Schriften erhalten, die sich eindeutig der Bosnischen Kirche zuordnen lassen. Aus dem 14. Jahrhundert blieben den serbischen Historikern Alexander V. Soloviev und Radmilo Petrović mehrere Werke bis heute unversehrt.
Die wichtigsten sind der Hval-Codex, eine kurze Passage des Evangeliums von Batalov, der Codex von Radosav und der venezianische Codex Novum testamentum bosniacum marcianum. Darüber hinaus zählen zu diesem historischen Werkekanon Passagen des Evangeliums von Mostar, das Gilferdinger Apostolar, das Nikolskoer Evangelium, das Dritte Belgrader Evangelium und weitere. 1
Petrović fasst die dürftige Quellenlage zusammen: „Der Inhalt der bisher bekannten Handschriften der bosnischen Kirche sind daher vor allem biblische Texte, vor allem Texte aus dem Neuen Testament und aus dem Alten Testament, ein Psalter mit ‚biblischen Gesängen‘ und die Zehn Gebote. Neben den Evangelien ist die Apokalypse am stärksten vertreten.“ 2
Weshalb blieb so wenig erhalten?
„Alles nur die Bücher des Neuen Testaments, hauptsächlich die Evangelien, die Apokalypse sowie die Apostel- und Briefgeschichte … Es gibt kein einziges theologisches Buch mit pädagogischem Inhalt.“ 3
Doch was ist der Grund dafür, dass nur so wenig und derart thematisch einseitige Literatur überdauerte – wenn die Bogomilen doch der orthodoxen und katholischen Kirchenlehre klar ablehnend gegenüberstanden?
Der Hval-Codex und seine Entstehung
Hinter jedem Werk, das die Turbulenzen der bosnischen Geschichte überdauerte, steht eine komplexe und aufschlussreiche Geschichte.
Der Hval-Codex ist dafür ein besonders interessantes Beispiel, wie eine Arbeit der bosnischen Kunsthistorikerin Dr. Ema Mazrak aufzeigt. Sie erläutert:
„Unter den wenigen erhaltenen mittelalterlichen Manuskripten der bosnischen krstjani, der Anhänger der bosnischen Kirche, ist der Hval-Codex das schönste und am reichsten illustrierte Beispiel spätmittelalterlicher religiöser Literatur in Bosnien … Er erhielt den Namen Hval-Codex nach dem Schreiber Hval, der nicht nur seinen Namen im Kolophon … hinterließ, sondern auch den des Oberhauptes der bosnischen Kirche, djed Radomjer, und das Entstehungsjahr [1404].“ 5
Der Hval-Codex ist eine illuminierte Handschrift in kyrillischer Schrift im itavischen – also bosnischen – Dialekt beschrieben. Er enthält den Text des Neuen Testaments, die Psalmen und einige nichtbiblische, apokryphe Texte.
Die Handschrift besteht aus 353 Pergamentblättern und enthält 380 Initialen und 96 Miniaturen und Illuminationen. Die Abbildungen zeigen biblische Szenen. Sie wurden offenbar von zwei Künstlern gestaltet, deren Stil sich unterscheidet. Die Darstellungen des einen sind auf blauem Grund, die des anderen auf goldenem Grund mit vielen architektonischen Elementen.
Der Codex wurde von dem der Bosnischen Kirche anhängenden Bogomilen krstjanin Hval für Fürst Hrvoje Vukčić Hrvatinić von Split angefertigt. Er befindet sich heute in der Universitätsbibliothek in Bologna. 6
Der künstlerische Schaffensprozess
Der Hval-Codex wurde für die krstjani, also die Bogomilen der bosnischen Kirche angefertigt, wie der Schreiber selbst am Ende des Codex feststellt: „A pisaše se i dosvr’šiše v’ lěto rožd’stva H[risto]va 1404 lěto, v’dny epyskup’stva i nastavnika i s’vr’šytela cr’kvy bosan’skoi g[ospodi]na děda Radoměra. – Dies wurde im Sommer des Jahres unseres Herrn 1404 für die Bischöfe und Lehrer und das Oberhaupt der bosnischen Kirche, djed Radomer, geschrieben und fertiggestellt.“ 8
Über den Stil von Hval schreibt Mazrak: „Die Kapitelüberschriften, die Kanontabellen, die Banner und Initialen, die diesem Meister zugeschrieben werden können, zeigen eine sehr enge Verbindung zur Buchkunst des mittelalterlichen Bosnien und Hum. Der Schreiber und Buchmaler Hval war im frühen 15. Jahrhundert aktiv, als er im mittleren Alter war, wie aus seinem Selbstporträt im [Hval-]Codex von 1404 hervorgeht.
Leider gibt es außer diesem Codex keine Dokumente oder Manuskripte, die uns zusätzliche Informationen liefern könnten. Ein Vergleich zwischen seiner Arbeit und der der Illuminatoren anderer bosnischer Handschriften des späten 14. und frühen 15. Jahrhunderts zeigt sofort, dass er ein sehr talentierter Miniaturenmaler war.“ 9
Zarathustra als Evangelist Markus?
Auch die Frage, ob der Künstler mit seiner Motivwahl inhaltliche Aspekte verband, stellt Mazrak kurz: „Es ist ein Rätsel, warum Hval die Figur von Zarathustra für den Evangelisten gewählt hat. Hatte dies vielleicht eine tiefere Bedeutung für ihn?“ 11
Sie nennt dies zwar „unwahrscheinlich“ – doch die Kernbotschaft dieses frühiranischen Philosophen, der im 1. oder 2. Jahrtausend vor Christus lehrte, war der Weltsicht der Bogomilen sicherlich nicht fremd: „Im Mittelpunkt der Lehre steht das Ringen des Guten gegen das Böse. Bis zum Tag des Gerichts haben die Menschen die freie Wahl, sich für den rechten Weg zu entscheiden. Der rechte Weg ist der Weg der Wahrhaftigkeit.“ 12
Der Hval-Codex – ein Mittel zum Dialog zwischen den Religionen?
Der Hval-Codex ist in vielerlei Hinsicht ein besonderes, gar einzigartiges Literaturzeugnis: „In der Geschichte der Buchkunst ist es selten, ein Beispiel für einen Codex zu finden, der von zwei Künstlern unterschiedlicher Religionszugehörigkeit illustriert wurde – in diesem Fall gehörte einer der wohl bogomilischen Bosnischen Kirche an, für die der Kodex angefertigt wurde, und der andere war Katholik – vorausgesetzt natürlich, dass seine Religion aus der künstlerischen Welt, in der er arbeitete, hergeleitet werden kann.“ so Mazrak. 13
Und weiter: „Ebenso ungewöhnlich ist es, Codizes zu finden, die aus verschiedenen religiösen Traditionen stammen und einer einzigen Person gewidmet sind, in diesem Fall Hrvoje Vukčić Hrvatinić: Das Messbuch von Hrvoje, das nach römisch-katholischem Kirchenrecht verfasst wurde, und den Hval-Codex.
Diese Tatsache sagt viel über Herzog Hrvoje und seine Politik im weiteren Kontext aus und verdeutlicht die Sonderstellung der bosnischen Kirche an der Grenze zwischen Ost und West – mehr noch aber über seine persönlichen politischen Bestrebungen, die seinerzeit eindeutig auf eine engere Anbindung und sogar Anerkennung durch die katholische Kirche hinausliefen. Sie könnten auch als Beleg für seine Trennung zwischen seinen öffentlichen und privaten religiösen Überzeugungen angesehen werden. Aus all diesen Gründen wird dieser einflussreiche Adelige in der Literatur oft als ‚Meister der bosnischen Außenpolitik‘ bezeichnet.“ 14
Gesichert ist, dass Herzog Hrvoje Vukčić Hrvatinić bekennender Bogomile war. Der bosnische Historiker Enver Imamović erläutert: „An seinem Hofe waren einige hohe Älteste der Bogomilen andauernd präsent. Sie erledigten verschiedene Aufgaben, unter anderem auch den diplomatischen Dienst.“ 15
Aus welchem Grund er zu Beginn des 15. Jahrhunderts den Hval-Codex bei einem „interreligiösen“ Team zweier Meister in Auftrag gab, ist nicht genau bekannt.
Es könnte sich durchaus um einen diplomatischen Schachzug gehandelt haben, um der Bosnischen Kirche in katholischen Kreisen Anerkennung zu verschaffen – und so auch Bosnien mehr politische Unterstützung in westeuropäischen Kreisen.
Denn spätestens seit der Schlacht auf dem Amselfeld 1389, an der neben serbischen auch bosnische Truppen beteiligt gewesen waren, wurde die zunehmende Bedrohung der Region durch das Osmanische Reich offensichtlich. In den folgenden Jahrzehnten würden bosnische Machthaber noch weitaus verzweifeltere Maßnahmen ergreifen, um Unterstützung katholischer Herrscher gegen die drohende türkische Invasion zu erlangen.
Doch 1404 war die spätmittelalterliche Gesellschaftsordnung noch intakt, und die Kunst konnte ihre verbindende Wirkung entfalten. Mazrak schließt ihre Ausführungen mit einem positiven Fazit:
„Ungeachtet verschiedener politischer Assoziationen, von Territorial- und Machtansprüchen, von Spaltungen in rechtgläubige Christen und Ketzer und all der Ereignisse, die das Umfeld schufen, in dem der Hval-Codex entstand, kann man sehen, wie der künstlerische Impuls all diese Einflüsse überwand – insbesondere die Definition davon, wer ein Rechtgläubiger und wer ein Ketzer war – und dass es im späten Mittelalter eine beträchtliche Kommunikationsfreiheit zwischen künstlerischen Bewegungen gab. Die Kunst des mittelalterlichen Bosnien wurde dadurch sehr bereichert, einschließlich der des krstjanin Hval.“ 16
Quellen / vrela / viri / izvori:
- siehe Radmilo Petrović, Bogumili, Rubikon & Mak, Beograd, 2010 - S. 84 ff. und Alexander V. Soloviev, Svedočanstva pravoslavnih izvora o bogomilstvu na Balkanu, Masleša, Sarajevo, 1953 - S. 13
- Übersetzung aus: Petrović - S. 79
- Übersetzung aus: Soloviev - S. 15
- Übersetzung aus: Soloviev - S. 15
- Ema Mazrak, The Poem Of Praise for King Robert of Anjou and Hval’s Miscellany – links and influences, in: Codices, Heft 85/86, Hollinek, Purkersdorf, 2012 - S. 11
- siehe Hval-Codex - via wikipedia.de
- Übersetzung aus: Mazrak - S. 20
- Übersetzung aus: Mazrak - S. 21
- Übersetzung aus: Mazrak - S. 20
- siehe Mazrak - S. 21
- Übersetzung aus: Mazrak - S. 19
- Zarathustra - via wikipedia.de
- Übersetung aus: Mazrak - S. 21
- Übersetzung aus: Mazrak - S. 21
- Übersetzung aus: Enver Imamović, Korijeni i život Bosanskog plemstva kroz historiju, Sarajevo, 2018 - S. 76
- Übersetzung aus: Mazrak - S. 24
Bildquellen / vrela slika / viri slik / izvori slika:
- Seite des Hval-Codex, einer mittelalterlichen Handschrift der Bosnischen Kirche: "Codex Christiani nomine Hval (detalji iz publikacije)", E-izložbe Biblioteke Filozofskog fakulteta Univerziteta u Sarajevu - via biblioteka.ff.unsa.ba
- Detail aus dem Hval-Codex, einer Handschrift der Bosnischen Kirche: "Codex Christiani nomine Hval (detalji iz publikacije)", E-izložbe Biblioteke Filozofskog fakulteta Univerziteta u Sarajevu - via biblioteka.ff.unsa.ba
- Seite aus dem Hval-Codex: Hval krstjanin, Public domain, via Wikimedia Commons
- Seite aus dem Hval-Codex: Hval krstjanin, Public domain, via Wikimedia Commons
- Seite aus dem Hval-Codex: Hval krstjanin, Public domain, via Wikimedia Commons
- Seite aus dem Codex Lobgedicht auf Robert von Anjou: Cod. Ser. n. 2639, fol. 35r: Huldigungsgedicht an König Robert von Neapel. Tugenden und freie Künste in Bildern, Definitionen und Versen, © Österreichische Nationalbibliothek, lizenzierte Nutzung
- Zarathustra in der Vorlage, dem Lobgedicht: Detail aus: Cod. Ser. n. 2639, fol. 35r: Huldigungsgedicht an König Robert von Neapel. Tugenden und freie Künste in Bildern, Definitionen und Versen, © Österreichische Nationalbibliothek, lizenzierte Nutzung
- Kopierte Darstellung des Evangelisten Markus im Hval-Codex: Detail aus: "Codex Christiani nomine Hval (detalji iz publikacije)", E-izložbe Biblioteke Filozofskog fakulteta Univerziteta u Sarajevu - via biblioteka.ff.unsa.ba
- Herzog Hrvoje Vukčić Hrvatinić: scribe Butko, Public domain, via Wikimedia Commons