Die Geisttaufe der Bogomilen und Katharer

Die Bogomilen in Kleinasien, Bulgarien und Bosnien, Patarener in Italien und Katharer in Südfrankreich lehnten die Wasser- und Kindstaufe der Priesterkirchen strikt ab. Neue Anwärter ihres Glaubens nahmen sie mit einer Geisttaufe auf, die sich an der Praxis der ersten urchristlichen Gemeinden orientierte. Was hatte es mit dieser Geisttaufe, auch consolamentum oder Christustaufe genannt, auf sich?
Sinnbild einer Geisttaufe im Mittelalter, auch consolamentum oder Christustaufe genannt – Detail aus einem Fresko von di Bonaiuto
Sinnbild einer Geisttaufe im Mittelalter, auch consolamentum oder Christustaufe genannt – Detail aus einem Fresko von di Bonaiuto

Bereits im 11. Jahrhundert gab es vereinzelt amtskirchliche Berichte von Geisttaufen: „Statt der Taufe lassen die Ketzer in Châlons, wohl auch in Orléans und Arras, nur ihre ‚Handauflegung‘ als Ritus gelten, der den Heiligen Geist vermittelt.“ 1

Später dann, als besonders im 12. und 13. Jahrhundert Gemeinden und Kirchen der Bogomilen und Katharer in vielen Ländern Europas aufgebaut worden waren, wurden auch die Berichte von Inquisitoren über diesen Aufnahmeritus zahlreicher und ausführlicher.

Tröstung und Christustaufe

Der kroatische Historiker Franjo Šanjek gibt anhand etlicher mittelalterlicher Dokumente ein lebendiges Bild: „Der Aufnahme neuer Katharer wohnte die gesamte Gemeinde bei, aber den vollständigen Einblick in die Bedeutung der Ritus der katharisch-dualistischen Initiation hatten nur die vollkommenen Mitglieder der Gemeinschaft, die perfecti oder boni christiani, oder in der Bosnischen Kirche die krstjani oder krstjanice koji su svete vjere apostolske [Getaufte, die vom heiligen Glauben der Apostel sind]. Katholischen Schreibern waren daher nur belanglose und inhaltlich unwesentliche Sachverhalte bekannt.
Die Bogomilen und Katharer lehnten die Wassertaufe der Priesterkirchen strikt ab.
Die Bogomilen und Katharer lehnten die Wassertaufe der Priesterkirchen strikt ab.
Die Katharer lehnten die Sakramente der Romkirche mit Nachdruck ab. Die Urchristen des Westens stellten der katholischen Wassertaufe ihre geistige Taufe entgegen. Die französischen und italienischen Urchristen nannten den Ritus der katarischen Initiation consolamentum, also ‚Tröstung‘. Derselben Handlung gaben die bosnischen Bogomilen die Bezeichnung Christustaufe. Die katharische Tröstung wurde, nach langer Vorbereitung, durch das Auflegen der Hand und der Übergabe des Evangeliums und des Vater Unsers gespendet.“ 2

Wie wurde die Geisttaufe vollzogen?

Der Bericht eines unbekannten katholischen Schreibers mit dem sinnigen Titel Wie die Häretiker ihre Herätiker herätisieren beschreibt den Ablauf der Geisttaufe im Detail. Der Text könnte von einem italienischen Inquisitor stammen, der lange Jahre Verantwortlicher in einer Katharer-Gemeinde gewesen war und daher die Abläufe bestens kannte:

„Der älteste der Katharer sagt dem Gläubigen, der Katharer werden möchte: ‚Bruder, möchtest du unserem Glauben beitreten?‘ Und der Gläubige wird antworten: ‚Ja.‘ Dann wird dieser Gläubige näherkommen, sich hinknien, und mit zum Boden hin ausgebreiteten Armen sagen: ‚Segne mich.‘ Und der Älteste wird sagen: ‚Gott hat dich gesegnet.‘ Und weiter, wird er nach einigen Schritten dasselbe wiederholen. Und ähnlich ein drittes Mal. 

Dann wird der Gläubige hinzufügen: ‚Bittet bei Gott um mich, den Sünder, dass er mich zu einer guten Erlösung führt und mich zu einem guten Christen macht.‘ Und der Älteste wird antworten: ‚So soll dich Gott zu einem guten Christen machen, und dich zu einer guten Erlösung führen.‘ „ 3

Verbrennung eines "Ketzers" auf dem Scheiterhaufen

"Wirst du dem Glauben nicht entsagen, aus Angst vor dem Tod?"

Es folgt eine Schilderung der Versprechen, die der Gläubige abzulegen hat, um in die Reihen der Bogomilen und Katharer aufgenommen zu werden: „Danach wird der Älteste den Gläubigen mit folgenden Worten ansprechen: ‚Gibst du dich Gott und dem Evangelium hin?‘ Und der Gläubige, kniend und mit zur Erde hin ausgestreckten Armen, antwortet: ‚Ja.‘

Danach fügt der Älteste hinzu: ‚Versprichst du, von nun an kein Fleisch, keine Eier, keinen Käse und keine andere Nahrung zu essen, außer vom Wasser und vom Baum?‘ …

Weiter: ‚Versprichst du, dass du nicht lügen noch fluchen wirst, noch irgendein lebendiges Wesen töten, noch irgendeiner Leidenschaft deines Körpers nachgeben wirst, nicht alleine gehen wirst, wenn du Gesellschaft haben kannst, nicht alleine speisen wirst … und dem Glauben nicht entsagen wirst aus Angst vor Feuer oder Wasser oder einer anderen Art des Todes?‘

Nach diesen Versprechen beugen alle … das Knie und berühren mit ihren Händen den Boden, und der älteste von ihnen öffnet das Buch an der Stelle, wo sich das Evangelium des Johannes befindet. Und während er die Hände über den Kopf des Gläubigen hält, liest er das gesamte Evangelium: ‚Am Anfang war das Wort …‘ 4

Den Frieden teilen

Zum Abschluss erfolgt der Friedensgruß untereinander: „Anschließend küsst der Älteste der Katharer den Gläubigen zweimal auf beide Wangen, und dieser dann mit einem anderen. Und so tauschen alle Katharer untereinander den Frieden aus. Falls Frauen anwesend sind, wird eine von ihnen den Frieden dadurch nehmen, dass sie den Ellbogen eines Katharers berührt … und dann wird eine Frau mit der anderen den Frieden dadurch teilen, dass sie sie zweimal auf beide Wangen küsst.

Und dem, der Katharer geworden ist, gibt man ein leinenes oder wollenes Kleidungsstück, das er dann über dem Hemd trägt, und weshalb er dann ‚eingekleideter Glaubender‘ genannt wird …“ 5

Diese Aufnahmeriten sind sowohl in Schriften des bosnischen Bogomilen Radoslav aus dem 15. Jahrhundert als auch in katharischen Aufzeichnungen aus dem 13. Jahrhundert zu finden. Der einzige Unterschied bestand wohl darin, dass die bosnischen Bogomilen ihre Christustaufe erneut durchführten, falls ein Getaufter schwer gesündigt hatte. 6

Ähnliche Riten von Kleinasien, über den Balkan, bis hin zu den Pyrenäen

Šanjek weist darauf hin, dass diese Art von Geisttaufe an die Gebräuche der Phundagiagiten, wie die Bewegung der Bogomilen in Kleinasien auch genannt wurde, anknüpfte. 7

Das antike Philadelphia in Kleinasien, von den Türken "Allah Sher", die Stadt Gottes, genannt – und eine Schrift von Eutymios Zigabenos
Das antike Philadelphia in Kleinasien, von den Türken "Allah Sher", die Stadt Gottes, genannt – und eine Schrift von Eutymios Zigabenos

Im byzantinischen Reich, genauer in der Region Opsikiona, der heutigen Westtürkei, begannen bogomilische Älteste bereits im 11. Jahrhundert die Gemeindetreffen mit den Worten: „Wir verneigen uns vor dem Vater, dem Sohn, und dem Heiligen Geist.“ Worauf die Anwesenden antworteten: „Das ist würdig und angemessen.“ Danach beteten alle gemeinsam das Vater Unser, so wie es auch bei den bosnischen Bogomilen getan wurde. 8

Diese und ähnliche Schilderungen belegen einmal mehr die geistige Verbundenheit der Bewegungen der Bogomilen, Patarener und Katharer – von Kleinasien über den Balkan, die Lombardei, den Languedoc bis hin zu den Pyrenäen, über viele Jahrhunderte hinweg.

Die ursprüngliche Geisttaufe im oströmischen Reich von Byzanz

Im Jahr 1122 beschrieb Eutymios Zigabenos, ein byzantinischer Theologe und Mönch in Konstantinopel, die ursprünglichste Form des bogomilischen Ritus:

„Falls jemand zu den Bogomilen stößt, taufen sie ihn erneut. Zunächst räumen die Bogomilen dem Kandidaten Zeit ein, um seine vorherigen Verfehlungen zuzugeben, sich von seinen Sünden zu reinigen und für das unablässige Gebet. Danach legen sie das Johannes-Evangelium auf sein Haupt, rufen den Heiligen Geist an und singen das Vater Unser.

Nach der Taufe legen die Bogomilen eine Zeit fest für weitere Lektionen, ein gemäßigtes Leben und die Reinigung durch das Gebet. Danach wird mit der Prüfung fortgefahren, ob der Kandidat dazu in der Lage ist. Sobald die Männer und Frauen aus der Gemeinde der Bogomilen das bestätigen, führen sie ihn zur feierlichen Weihe. Sie stellen den Kandidaten dann gen Osten, legen ihm erneut das Evangelium auf sein Haupt, und danach legen ihm alle Anwenden, Männer und Frauen, ihre Hände auf und singen Lieder …“ 9

Der Hirsch - das Symbol des Getauften

In Bosnien-Herzegowina und darüber hinaus hinterließen die Bogomilen auf zahlreichen steinernen Mahnmalen, den stećci, Zeugnisse ihres Lebens und Wirkens. Ein häufiges Symbol auf diesen teils mit eindrücklichen Reliefs versehenen, monumentalen Steinen ist der Hirsch.
Stećak in Brotnice bei Dubrovnik mit Darstellungen von Hirschen, eines Kolo-Tanzes und des Ringens zwischen Gut und Böse
Stećak in Brotnice bei Dubrovnik mit Darstellungen von Hirschen, eines Kolo-Tanzes und des Ringens zwischen Gut und Böse

Der Kunsthistoriker Rudolf Kutzli schildert die tiefe, transzendente Bedeutung dieses alten Tiersymbols: „Der Hirsch wirft jedes Jahr sein Geweih ab, um es … neu zu bekommen. Was sonst im Knochen erstarrt, wird abgeworfen und Jahr für Jahr erneuert. Dies wird zum Realsymbol für Tod und Wiedergeburt, für die sich erneuernde Lebenskraft der Auferstehung …“ Der Hirsch steht also für die Anerkennung der Realität der Reinkarnation – ein Glaube, der im ursprünglichen Christentum und auch zu Lebzeiten von Jesus von Nazareth weit verbreitet war.

Nach Kutzli steht der Kopfschmuck des Hirsches zudem für die entwickelten geistigen Sinne der Seele: „In der Formgebärde können wir ein Hirschgeweih vergleichen einem suchenden Organ, einem differenzierten Fühler, der sich in eine Welt vortastet, die über derjenigen wirkt, die in der Knochenschale des Hauptes eingeschlossen ist … Das Geweih wird zum Symbol eines höheren Organs, das in die imaginative Welt des Übersinnlichen einzudringen vermag: Himmelskräfte steigen auf und nieder.“ 10

Relief eines Hirsches mit ins Übersinnliche reichendem Geweih, Duvno polje
Relief eines Hirsches mit ins Übersinnliche reichendem Geweih, Duvno polje
Hirsche unter den Sternen und dem ewigen Himmelszelt, Imotski
Hirsche unter den Sternen und dem ewigen Himmelszelt, Imotski

Und der Historiker Georg Wild erläutert die Verwendung der Hirschdarstellung durch die Bogomilen: „Die Taufe als Besiegelung der Errettung des Menschen war im Rahmen des religiösen Lebens innerhalb des Bogomilentums und des Katharertums mit der höchsten Stufe der Vollkommenheit verbunden, durch die der Mensch seines Heils versichert wurde … Der mit dem consolamentum versehene Bogomile oder Katharer war zwar nicht mehr von dieser Welt, aber dennoch in dieser Welt und hatte sich ihrer Anfeindungen und Versuchungen zu erwehren … 

Der Hirsch symbolisiert den durch die Geisttaufe, das consolamentum, wiedergeborenen und geretteten Menschen, die Jagd bzw. die Bewaffneten, die dem Hirsch nachstellen, verkörpern das böse Prinzip dieser Welt, die Mächte und Gefahren, die seinen Heilszustand bedrohen.“ 11

Von einem Hund verfolgter Hirsch auf einem stećak im Nationalmuseum von Sarajevo. Hunde standen häufig für Inquisitoren aus dem Orden der Dominikaner, die auch domini canes, die "Hunde des Herrn", genannt wurden.
Von einem Hund verfolgter Hirsch auf einem stećak im Nationalmuseum von Sarajevo. Hunde standen häufig für Inquisitoren aus dem Orden der Dominikaner, die auch domini canes, die "Hunde des Herrn", genannt wurden.
Von einem berittenen Jäger verfolgter Hirsch, Boljuni bei Stolac
Von einem berittenen Jäger verfolgter Hirsch, Boljuni bei Stolac
Die bedrückenden Jagdszenen, die auf etlichen stećci zu finden sind, sind daher als Erinnerungen an die grausame Verfolgung der freien Christen durch die katholische und orthodoxe Priesterkirche zu sehen. Kutzli dazu: „Das Motiv der Jagd des Hirsches wird nun nur allzu verständlich. Es bedeutet die mitleidlose Verfolgung der Bogomilen, am Beispiele derjenigen, die das consolamentum erreicht haben. Der Jäger ist der Repräsentant der Mächte, die dem brüderlichen Urchristentum der Bogomilen feindlich gesinnt waren.“ 12

Männer und Frauen des Geistes

Im Ringen zwischen Gut und Böse, zwischen den zerstörerischen Mächten der Außenwelt und dem ewigen, guten Leben im Geiste, fanden über Jahrhunderte Menschen ihren Halt und Zusammenhalt in der Hinwendung zum Gott der Liebe und Barmherzigkeit, wie ihn Jesus Christus den Völkern gebracht hatte. Die Geisttaufe war daher in erster Linie eine innere Stärkung für jeden, die sie empfing. Šanjek schließt seine Betrachtung mit ehrfürchtigen Worten:

Apostel Johannes
„Durchglüht vom authentischen apostolischen Leben und gestärkt von der Botschaft des Evangeliums, machten sich diese Männer und Frauen daran, zur Einfachheit und Reinheit der Urkirche zurückzukehren, und nannten sich deshalb Christen und Christinnen der heiligen apostolischen Lehre.“ 13

Quellen / vrela / viri / izvori:

  1. Herbert Grundmann, Ketzergeschichte des Mittelalters, in: Die Kirche in ihrer Geschichte - ein Handbuch, Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen, 1978 - S. G9
  2. Übersetzung aus: Franjo Šanjek, Bosansko-humski krstjani u povjesnim vrelima, Barbat, Zagreb, 2003 - S. 55 f. - Der theologische Fachbegriff 'Dualisten' wurde der Verständlichkeit halber durch 'Urchristen' ersetzt.
  3. Übersetzung aus: Šanjek - S. 55 f. - Der Schmähbegriff 'Ketzer' des katholischen Originaltextes wurde durch 'Katharer' ersetzt.
  4. Übersetzung aus: Šanjek - S. 55 f.
  5. Übersetzung aus: Šanjek - S. 55 f. - Der Schmähbegriff 'Ketzer' des katholischen Originaltextes wurde durch 'Katharer' ersetzt.
  6. siehe Šanjek - S. 60
  7. siehe Šanjek - S. 60 f.
  8. siehe Šanjek - S. 60
  9. Übersetzung aus: Šanjek - S. 60 f.
  10. Rudolf Kutzli, Die Bogumilen: Geschichte Kunst Kultur, Urachhaus, Stuttgart, 1977 - S. 212
  11. Georg Wild, Bogumilen und Katharer in ihrer Symbolik, Teil 1, Franz Steiner, Wiesbaden, 1970 - S. 33
  12. Kutzli - S. 213
  13. Übersetzung aus: Šanjek - S. 61

Bildquellen / vrela slika / viri slik / izvori slika:

  • Sinnbild einer Geisttaufe im Mittelalter, auch consolamentum oder Christustaufe genannt – Detail aus einem Fresko von di Bonaiuto: Andrea di Bonaiuto, Public domain, via Wikimedia Commons
  • Die Bogomilen und Katharer lehnten die Wassertaufe der Priesterkirchen strikt ab.: shakko, CC BY-SA 4.0, via Wikimedia Commons, from the Middle Ages, unknown, Public domain, via Wikimedia Commons
  • Verbrennung eines „Ketzers“ auf dem Scheiterhaufen: Wikimedia Commons
  • Das antike Philadelphia in Kleinasien, von den Türken „Allah Sher“, die Stadt Gottes, genannt – und eine Schrift von Eutymios Zigabenos: Robert Walsh, Public domain, via Wikimedia Commons, See page for author, Public domain, via Wikimedia Commons
  • Stećak in Brotnice bei Dubrovnik mit Darstellungen von Hirschen, eines Kolo-Tanzes und des Ringens zwischen Gut und Böse: © die-bogomilen.de
  • Relief eines Hirsches mit ins Übersinnliche reichendem Geweih, Duvno polje: © die-bogomilen.de
  • Hirsche unter den Sternen und dem ewigen Himmelszelt, Imotski: © die-bogomilen.de
  • Von einem Hund verfolgter Hirsch auf einem stećak im Nationalmuseum von Sarajevo. Hunde standen häufig für Inquisitoren aus dem Orden der Dominikaner, die auch domini canes, die „Hunde des Herrn“, genannt wurden.: © die-bogomilen.de
  • Von einem berittenen Jäger verfolgter Hirsch, Boljuni bei Stolac: © die-bogomilen.de
  • Apostel Johannes: Cornelis van Caukercken, CC0, via Wikimedia Commons
Inhaltsverzeichnis
Sebastian Hoblaj