Blühendes Zadar zu Beginn des 13. Jahrhunderts
Zadar war zu Beginn des 13. Jahrhunderts eine blühende Handelsstadt an der Adriaküste des heutigen Kroatien. Mit der rund 270 km entfernten Republik Venedig bestand eine andauernde wirtschaftliche Rivalität und erbitterte Feindschaft. Venezianische Truppen hatten mehrmals erfolglos versucht, die stark befestigte Stadt einzunehmen, und zwar in den Jahren 1115, 1126, 1181, 1191 und 1193.1 Nicht genug, dass dabei sogar ein Doge – das Staatsoberhaupt der Republik – vor den Mauern Zadars gestorben war, auch die Kriegskasse der venezianischen Herren war inzwischen weitgehend erschöpft.
Papst Innozenz III. und der Vierte Kreuzzug
Der Vierte Kreuzzug wurde von Papst Innozenz III. einberufen. Ein Teil des Heeres sammelte sich ab 1202 in Venedig, von wo aus es ins Heilige Land aufbrechen sollte. Zu diesem Zweck hatten die Venezianer eine große und teure Kriegsflotte bereitgestellt, die die Kreuzfahrer bezahlten sollten. Allerdings folgten dem Aufruf viel weniger Teilnehmer als erwartet, was diese Art der Finanzierung hoch problematisch machte.
Zum Sturm auf Zadar: "Gegen bogomilische Ketzer!"
Der renommierte jugoslawische Autor und Kunsthistoriker Oto Bihalj-Merin schildert die damaligen Vorgänge eindrücklich:
„In dieser kritischen Situation machte der schlaue 93jährige Doge [Enrico Dandolo von Venedig] seinen Vorschlag: „Meine Herren … die Leute [die Kreuzritter] können uns nicht mehr bezahlen … Wir verlangen von ihnen die Erfüllung des Vertrages.
Der ungarische König hat uns Zadar, im slawischen Land gelegen, weggenommen. Eine der am stärksten befestigten Städte der Welt.
Nie werden wir sie mit der Kraft, die wir haben, erobern, wenn diese Leute sie uns nicht erobern. Verlangen wir von ihnen, dass sie uns helfen, die Stadt zu erobern, und wir werden ihnen die Zahlung von vierunddreißigtausend Silbermark, die sie uns schuldig sind, stunden, bis zu der Stunde, wo Gott erlauben wird, dass wir sie gemeinsam mit ihnen erwerben …
Ein Teil der Kreuzritter protestierte … Sie waren nicht einverstanden damit, christliche Städte zu stürmen. Aber der schlaue Greis von San Marco [der Doge] war ein guter Demagoge. Sie [die Einwohner von Zadar] wären nicht Christen, sondern Abtrünnige, Verräter, verlorene Seelen, bogomilische Ketzer in jener slawischen Stadt. Es wäre gottgefällig und christlich, sie zu strafen und der Republik von Venedig einzuverleiben.
Nach einer feierlichen Messe in San Marco, bei der die Kreuzritter anwesend waren und viel Volk von Venedig, inszenierte der Doge eine pathetische Szene, in der er das Volk aufrief, ihm in den Heiligen Krieg zu folgen.“ 2
Darauf, dass der Vierte Kreuzzug umgelenkt wurde, um das „ketzerische“ Zadar zu bestrafen – und nicht etwa nur aus rein wirtschaftlichem Kalkül Venedigs, wie in der Regel berichtet – weist klar auch Archidiakon Thomas in seiner von kirchlicher Weltsicht geprägten „Historia Salonitana“ hin:
„Und während sie [die Einwohner von Zadar] schon mit vielen Fehlern verunstaltet waren, fügten sie dem Übermaß ihrer Leichtfertigkeit das hinzu, dass sie die Vorschrift des katholischen Glaubens missachteten und zuließen, von der Seuche der Häresie angesteckt zu werden. Denn fast alle, die in Zadar zu den Vornehmeren und Größeren zählten, nahmen die Häretiker [die Bogomilen] bereitwillig auf und unterstützten sie.“ 3
Belagerung, Sturm und Plünderung der Stadt
Es begann, inzwischen unaufhaltsam, die Strafexpedition gegen die „Ketzer“ und Rivalen Venedigs. Bihalji-Merin schreibt weiter:
„Am 8. Oktober 1202 schifften sich die Kreuzfahrer auf der venezianischen Flotte ein. Nach siebenwöchiger Fahrt, in der sie Triest, Milje, Pirano und Pula zwangen, die Oberherrschaft von Venedig anzuerkennen, kamen sie vor Zadar und, wie der Chronist Villehardouin schreibt, ’sahen, dass es eine geschlossene Stadt war, von hohen Mauern und Türmen geschützt und dass sie keine schönere und reichere hätten finden können.‘ “ 4
Etwa 11.000 Mann5 des Kreuzfahrer-Heeres setzten gemeinsam mit venezianischen Truppen zur Belagerung Zadars – von Einheimischen damals romanisch Iadera, und von den Italienern Zara genannt – an:
„Und obwohl dessen König selbst das Kreuz genommen und die Zaresen – für den Dogen freilich nur Seeräuber und Mörder, an denen er sich rächen wollte – auf der Mauer Kruzifixe aufgestellt hatten, sprengten die Kreuzfahrer am 11. November die Hafenkette und eroberten am 24. November 1202, trotz heftigen Protestes in ihren eigenen Reihen, Zadar wieder für Venedig. Die Stadt wurde geplündert, auch jede Kirche ausgeraubt, ein Teil der Mauern, der Häuser niedergerissen, und fast eine Woche lang um die Beute gestritten.“ 6 schreibt Deschner.
Thomas Archidiakon schildert in seiner Chronik den Fall von Zadar wie folgt: „Als die Zaresen sahen, dass sie unter Blockade standen, waren sie sehr verängstigt, nicht wissend, was sie am besten tun sollten. Urplötzlich folgte allerdings nun ein Desaster mit einer so großen Sterblichkeit, dass nicht genügend Menschen in der Stadt am Leben und bei Gesundheit blieben, um die Toten zu begraben. Die Leichen der Opfer lagen unbegraben in ihren Häusern und Kirchen … An diesem Tage gingen die Venezianer von Bord ihrer Schiffe und eilten in Gruppen in die Stadt … Sie hausten dort für eine Weile; bei ihrem Rückzug verwandelten sie die gesamte Stadt in eine Einöde. Sie zerstörten alle umgebenden Stadtmauern und Türme sowie jedes einzelne Haus innerhalb, und ließen nichts als die Kirchengebäude stehen. Danach zog sich diese gesamte Vielfalt von Schiffen zurück, segelte nach Konstantinopel und nahm es ein.“ 7
Wer gab den Befehl?
Angesichts der Ausmerzungs-Strategie des damaligen Papstes gegen Bogomilen und weitere urchristliche Bewegungen erscheint die gängige historische Darstellung, die Republik Venedig hätte eigenmächtig den Angriff auf Zadar in die Wege geleitet, fragwürdig.
Papst Innozenz III. war äußerst machtbewusst , und strebte die vollständige Kontrolle über die von ihm initiierten Kreuzzüge an. Hätte es der Doge von Venedig tatsächlich gewagt, einen solchen „heiligen“ Kreuzzug ohne Rücksprache bei dessen Anstifter einfach umzuleiten? Wohl kaum.
Was genau hinter den Kulissen ablief, und welche Vereinbarungen zwischen dem Papst, dem militärischen Leiter des Kreuzzugs, Markgraf Bonifatius I. von Montferrat8 und dem Dogen von Venedig getroffen wurden, lässt sich heute nicht mehr vollständig rekonstruieren. Aber die Frage „cui bono?“ – wem nützt es? – macht klar, dass die Einnahme von Zadar zweifellos sowohl für die Republik Venedig als auch für den Vatikan äußerst vorteilhaft war.
Dementsprechend ist das offizielle Vorgehen von Papst Innozenz III. wohl eher als Versuch zu sehen, jene Fürsten und Teile des Kreuzfahrer-Heeres und bei der Stange zu halten, die nicht gegen „christliche Brüder“ ziehen wollten: „Der Papst exkommunizierte zwar die Aggressoren, hob aber den Bann über seine Streitmacht rasch wieder auf und beließ nur die Venezianer darin. Doch auch mit ihnen durften Franzosen und Deutsche frei verkehren, militärisch wie menschlich. Denn Innozenz gab natürlich seinen Kreuzzug wegen des Zwischenfalls nicht preis. Hat er doch bald sogar eine viel größere, eine welthistorische Schurkerei, Schlächterei freudigt gebilligt.“ 9 fasst Karlheinz Deschner zusammen. „Hier und in der Folgezeit ist die päpstliche Stellungnahme zum Vierten Kreuzzug stets zwielichtig geblieben.“ 10 stellt auch der Kreuzzugs-Experte H. E. Mayer fest.
Die spätere Plünderung der orthodoxen Metropole Konstantinopel, damals auch Byzanz – des heutigen Istanbul – durch die entfesselte, beutegierige Kreuzfahrer-Streitmacht spricht Bände über die Motivation der Beteiligten. Auch dieser monströsen Gräueltat, die die Kirchenspaltung und den Hass zwischen Ost und West schürte, gab Papst Innozenz III. seinen Segen: „… als man die Stadt erst einmal hatte, war er von der seiner Kirche so überraschend zugefallenen Akquisition, die ja auch der Herr zugelassen, also gewollt, hoch erfreut, einfach überwältigt.“ 11
Quellen / vrela / viri / izvori:
- Edgar Hösch, Geschichte der Balkan-Länder, Beck, München, 1988 - S. 62
- Oto und Lisa Bihalji-Merin, Jugoslawien, Kohlhammer, Stuttgart, 1966 - S. 280 f.
- Prof. Dr. Ludwig Steindorff, Die Chronik des Archidiakons Thomas über die Geschichte der Kirche von Salona und Split, Christian-Albrechts-Universität, Kiel, 2017 - S. 50 - via uni-kiel.de
- Bihalji-Merin - S. 280 f.
- Hans-Eberhard Mayer, Geschichte der Kreuzzüge, Kohlhammer, Stuttgart, 2005 - S. 234 f.
- Karlheinz Deschner, Kriminalgeschichte des Christentums, Rowohlt, Hamburg, 2017 - S. 91
- Übersetzung aus: Damir Karbić et al., Archdeacon Thomas of Split – History of the Bishops of Salona and Split, CEU Press, Budapest, 2006 - S. 148 f.
- Steven Runciman, Geschichte der Kreuzzüge, Beck, München, 2019 - S. 890
- Deschner - S. 91
- Mayer - S. 235
- Deschner - S. 104
Bildquellen / vrela slika / viri slik / izvori slika:
- Historische Darstellung des mittelalterlichen Zadar: Zadar. Doppelseite, aus Conrad Grünenberg: Beschreibung der Reise von Konstanz nach Jerusalem. Bodenseegebiet, um 1487. Badische Landesbibliothek Karlsruhe, Cod. St. Peter, pap. 32. - Badische Landesbibliothek
- Doge Enrico Dandolo rekrutiert für den Kreuzzug: Jean LeClerc [Public domain], via Wikimedia Commons
- Belagerung von Zadar: Andrea Vicentino (1539-1614), Public Domain, via Wikimedia Commons