Versklavung von Bogomilen

Die Sklaverei gilt im allgemeinen in den „christlichen“ Ländern Westeuropas seit der Spätantike als abgeschafft. Doch südlich der Alpen wurden noch im Mittelalter auch von der Romkirche als Ketzer gebrandmarkte Andersgläubige wie die Bogomilen fortgesetzt zu Opfern des Sklavenhandels – insbesondere Frauen und Kinder.

Kirchliche Legitimation der Sklaverei

Eine theologische Rechtfertigung dieses menschenverachtenden Handelns ist im Buch Levitikus des Alten Testaments zu finden:

„Die Sklaven und Sklavinnen, die euch gehören sollen, kauft von den Völkern, die rings um euch wohnen; von ihnen könnt ihr Sklaven und Sklavinnen erwerben. Auch von den Kindern der Halbbürger, die bei euch leben, aus ihren Sippen, die mit euch leben, von den Kindern, die sie in eurem Land gezeugt haben, könnt ihr Sklaven erwerben. Sie sollen euer Eigentum sein und ihr dürft sie euren Söhnen vererben, damit diese sie als dauerndes Eigentum besitzen; ihr sollt sie als Sklaven haben.“ 1

Die über Jahrtausende tradierte Geisteshaltung der Priesterkaste ist auch in der katholischen Kirchengeschichte immer wieder nachweisbar. So berief etwa Papst Alexander III. im Jahr 1179 das Dritte Laterankonzil ein. Das Konzil – das als höchstes Organ der katholischen Kirche angeblich vom „Heiligen Geist“ geführt wird – stimmte unter anderem folgendem Beschluss zu: „Zur Vergebung ihrer Sünden sind alle Gläubigen aufgerufen, das Christentum mit der Waffe zu verteidigen. Den Herrschenden ist es erlaubt, die Häretiker zu versklaven und ihr Eigentum zu konfiszieren.“ 2

Sklaverei im "christlichen" Südeuropa des Mittelalters

„Im Spätmittelalter ging der baltische bzw. nordeuropäische Sklavenhandel wieder zurück. Die meisten europäischen Völker waren mittlerweile christianisiert, und seit der Zeit Karls des Großen war es Christen ausdrücklich verboten, andere Christen als Sklaven zu verkaufen oder zu erwerben. Diese Regelung wurde jedoch oft missachtet – auch Päpste und Klöster hatten Sklaven. Insbesondere im östlichen Mittelmeerraum wurde das Verbot oft mit dem Argument umgangen, dass es nur für römisch-katholische Christen gelte, nicht aber für orthodoxe oder Angehörige anderer christlicher Kirchen. So war die Sklaverei im Hochmittelalter zwar nördlich der Alpen so gut wie verschwunden, gerade im Mittelmeerraum jedoch herrschte weiterhin reger Menschenhandel, an dem sich auf christlicher Seite besonders die Seerepubliken Italiens sowie katalanische Seeleute beteiligten … Noch bis ins 15. Jahrhundert handelten Städte wie Genua oder Venedig in großem Umfang mit Sklaven aus dem Schwarzmeerraum und vom Balkan.“ 3

Die geopolitische Lage im mittelalterlichen Südosteuropa begünstigte diese systematische Ausbeutung von Menschen: „Als religiöse Grenzzone zwischen dem katholischen, byzantinischen und muslimischen Reich war der Balkan sowohl ein politisches Schlachtfeld als auch eine rechtliche Vorhölle, die die Entstehung dessen begünstigte, was Jeffrey Fynn-Paul als ‚Sklavenzone‘ oder ‚geographisches Gebiet, das von der Nachfrage einer bestimmten Gesellschaft nach Sklaven betroffen war‘ bezeichnet hat … Im Spätmittelalter setzte das ungarische Königreich Árpád männliche Kriegsgefangene vom Balkan für landwirtschaftliche Arbeiten ein; dalmatinische und mediterrane Herrscher suchten dort billige, meist weibliche, Hausangestellte …“ 4

Unfreie Männer mit Sicheln bei der Erntearbeit, ca. 1310
Unfreie Männer mit Sicheln bei der Erntearbeit, ca. 1310

Kirche und Staat arbeiteten in Bezug auf die Sklaverei oft Hand in Hand – gemein waren ihnen dabei vor allem wirtschaftliche Interessen, so der Historiker Christoph Cluse: „In Bezug auf die Praxis der Sklaverei verhielten sich Kirchenleute und geistliche Institutionen wie andere Haus- und Grundbesitzer auch … Überall lassen sich auch Geistliche finden, die eine Sklavin oder auch mehrere im Haushalt hatten. In Genua waren Kirchengüter von der gabella sclavorum, einer Abgabe auf den Besitz von Sklaven, ausgenommen, deshalb tauchen die Sklavinnen und Sklaven in kirchlichem Besitz seltener in den Quellen auf …“ 5

Auch in Kroatien und Dalmatien gab es im Mittelalter Sklavenhalter – vor allem die Machthaber in den byzantinisch-romanisch geprägten Küstengebieten und die katholische Kirche. 6

Ein Dokument, in dem der amtierende Papst unmittelbar in Zusammenhang mit dem Handel von ketzerischen Sklaven erwähnt wird, ist ein Brief des päpstlichen Legaten Theobald aus dem Jahr 1180. Darin bittet er den bosnischen Fürsten Kulin Ban – der den Bogomilen zugetan war, an Papst Alexander III. zwei Sklaven als Geschenk zu übersenden. 7

„Die Kirche vertrat die Position, dass es rechtmäßig sei, diejenigen zu versklaven und mit Gewalt zu ergreifen, die den Götzendienst praktizierten, denn dies würde es erlauben, sie in zivilisierte Länder zu verbringen und, durch das Sakrament der Taufe, in Gottes Gnade zu empfangen. Laut Sankt Antonino, einem [katholischen] Bischof von Florenz, befreie die Taufe als solches nicht von Sklaverei, denn die Sklaverei, eingeführt durch das göttliche Gesetz, werde vom zivilen und kanonischen Recht bestätigt.“ so die italienische Historikerin Paola Pinelli. 8

Wie die Sklavenhaltung vom Klerus auch in der Praxis gezielt als Instrument zur Ausmerzung von Andersgläubigen genutzt wurde, verdeutlicht Cluse: „Eine Mentalität, die insgesamt der Sklaverei günstig war, erklärt die harsche Haltung gegenüber allen Nichtchristen und sogar gegenüber Christen, die nicht der römischen Kirche zugehörten … Orientalische Christen wurden seit dem 11. Jahrhundert nicht nur als Schismatiker, sondern gern auch als Feinde betrachtet. Bulgaren wurden als Bogomilen und Ketzer ebenfalls ohne weiteres versklavt, zum Teil sogar von den Autoritäten der Ostkirche verfolgt und an Italiener verkauft .. Die Einfuhr von Sklaven erfolgte auch nicht spekulativ in der bloßen Hoffnung auf einen möglichst hohen Verkaufserlös, sondern oftmals auf Anfrage, auf gezielte Bestellung. 9

Sklavenjagd in Bosnien – mit Förderung des Papstes

Die Historikerin Juliane Schiel beschreibt die römisch-katholische Wurzel der über Jahrhunderte andauernden Sklavenjagd in Bosnien: „Ab dem 12. Jahrhundert, als sich die Theologen zunehmend um den Glauben des gemeinen Volkes sorgten und die römisch-katholische Kirche die Heilige Inquisition zur Bekämpfung der Ketzerei einrichtete, gerieten Christen aus Bosnien unter den Generalverdacht der Häresie … Als … die dalmatinischen Anhänger einer dualistischen Doktrin [Bogomilen] aus dem dalmatinischen Spalato [Split] nach Bosnien flohen, wurden Spekulationen über Ketzerei in Bosnien weiter angeheizt und führten zu einer Reihe von Kreuzzügen von 1234-1239, die vom expansionistischen Ungarn angeführt wurden. Dies bereitete den Boden für eine anhaltende Verfolgung bosnischer Christen als Ketzer durch die Inquisition und hatte lang anhaltende und weitreichende Folgen für die Verschleppten und Versklavten, bis weit ins 15. Jahrhundert.“ 10

„Die katholische Kirche verbot die Haltung von Sklaven katholischen Glaubens, aber da es sich in diesem Fall um Häretiker handelte … wurde der Handel mit bosnischen Sklaven in Europa rechtlich sanktioniert.“ erläutert der bosnische Historiker Halilović. 11

Papst Gregor IX.
Papst Gregor IX.

So unterzeichnete etwa Papst Gregor IX. eine Schenkungsurkunde an den ungarischen Herzog Koloman von Galizien, mit der er ihm ganz Bosnien zum Geschenk machte, falls dieser die Bogomilen vernichten würde. Der Herzog nahm das Geschenk an und beteiligte sich im Jahr 1235 am „Bosnischen Kreuzzug“, der fast fünf Jahre dauerte. 12 Die katholischen Kreuzfahrer fielen in Scharen in Bosnien ein und terrorisierten die Bevölkerung, töteten oder verschleppten sie.

Neben dem Bestreben, sich als papsttreue, gute Katholiken zu beweisen, ging es den ungarischen Invasoren dabei höchstwahrscheinlich schlicht um Machtinteressen.

Mehmed Hodžić von der philosophischen Fakultät der Universität Sarajevo dazu: „Eine häufige Gelegenheit zur Versklavung von Bosniern stellten bewaffnete Interventionen ungarischer Könige in Bosnien dar. Unter dem Vorwand des Kampfes gegen die bosnischen Häretiker waren sie auf die tatsächliche, politische Unterwerfung des Landes gerichtet. Im Jahr 1248 … wurden aus dem Land mehrere tausend ‚Häretiker‘ entführt. Dies zeigt, dass damals aus Bosnien ein großer Anteil der Bevölkerung in die Sklaverei verschleppt wurde … Man kann schlussfolgern, dass insbesondere diese einfache Art des Erwerbs von Sklaven einen der wichtigsten Gründe darstellte, um den gegen Bosnien gerichteten kriegerischen Aktionen einen religiösen Anschein zu geben.“ 13

Handeln mit Sklaven aus Bosnien über Dubrovnik

Der Sklavenhandel in Bosnien wurde erstmals im 11. Jahrhundert schriftlich erwähnt. 14 So war beispielsweise der Sklavenmarkt von Drijeva – dem heutigen Gabela im Neretva-Tal – über Jahrhunderte ein Bestandteil der bosnischen Wirtschaft. Er wurde von Dubrovnik aus kontrolliert, befand sich aber außer Sichtweite der städtischen Obrigkeit, so dass die Sklavenhändler dort weitgehend unbehelligt ihren Geschäften nachgehen konnten. 15 „Noch im 15. Jahrhundert war Bosnien als das Land bekannt, aus dem man Sklaven massenweise bezog, beziehungsweise in welchem man auch mit menschlichem Fleische handelte.“ 16 so der Historiker Halilović.

Mit der Intensivierung des Silberbergbaus begann eine unheilvolle Entwicklung: „Wirtschaftlich gesehen gewann Bosnien, zusammen mit Serbien, plötzlich an Bedeutung, als im 13. Jahrhundert alte Bergbaustätten für Edelmetalle wiederentdeckt wurden. … Doch Bosnien profitierte nicht wirklich von dieser glücklichen Fügung. Die Exporte aus diesen Minen, vor allem Silber, wurden sofort von dubrovniker Kaufleuten monopolisiert und bildeten die Grundlage für den Aufstieg Dubrovniks zum wichtigsten Handelspartner und Umschlagplatz für den Fernhandel an der östlichen Adriaküste. 

Von Novo Brdo in Serbien und Srebrenica in Bosnien, den beiden wichtigsten Minen der Balkanregion, brachten dubrovniker Händler Edelmetalle die Neretva hinunter an die Adria und verschifften sie von Dubrovnik aus … zunächst nach Venedig und von dort aus an andere Orte in Westeuropa, nördlich und südlich der Alpen. 

Dubrovnik, das frühere Ragusa, an der dalmatinischen Adria-Küste Kroatiens
Dubrovnik, das frühere Ragusa, an der dalmatinischen Adria-Küste Kroatiens

Die meisten servi und ancillae aus Bosnien oder Serbien, die nach Dubrovnik gebracht wurden, nahmen die gleiche Route. Händler von Edelmetallen reisten Seite an Seite mit Entführern und Sklavenhändlern. Es könnten sogar dieselben Leute gewesen sein.“ 17

Freie Männer und Frauen wurden auf diesem Wege, zum Teil mit notarieller Beglaubigung und nicht selten ein Leben lang, zu Sklaven und Sklavinnen gemacht. Man nannte sie, noch nach römischer Sitte, servi und ancillae.

„Reiche adlige Familien dalmatinischer Städte wie Zadar, Split oder Dubrovnik begannen, freie slawische Bauern aus dem küstennahen Hinterland zu versklaven, um ihre Arbeitskraft auf Gütern einzusetzen, die Kirchen und Klöstern unter ihrer Patronage gehörten.“ schreibt der kroatische Historiker Neven Budak. 18

Im kroatischen Nationalarchiv in Dubrovnik sind Nachweise für diesen Menschenhandel zuhauf zu finden. Dr. Elmedina Duranović vom Historischen Institut Sarajevo schreibt: „Jedes wohlhabendere Haus in Dubrovnik hatte seine Sklaven. Sklaven hatten in erster Linie Dubrovniker Edelleute, danach Handwerksmeister und Kaufleute – und sie kamen an sie vor allem über den Kauf heran. Von 1279 bis 1301 wurden in der Notarskanzlei von Dubrovnik 416 Verträge geschlossen, die Fragen der Sklaverei zum Gegenstand hatten … Derart geschlossene Verträge können jedoch nicht als Grundlage für die Gesamtzahl von Sklaven in diesem Gebiet herangezogen werden, denn es gab mit Sicherheit Fälle, die nicht in den genannten Büchern vermerkt sind.“ 19

Ausbeutung von Mädchen und jungen Frauen als Haussklavinnen in den reichen Städten Italiens

In Bosnien geraubte Mädchen und junge Frauen erlitten fernab von Heimat und Familie als Sklavinnen ein unbarmherziges Schicksal. „Die Haussklaverei war in Italien und Dalmatien während des gesamten Mittelalters verbreitet. Die meisten Sklaven aus Bosnien wurden in Venedig, Genua und andere italienische Städte verkauft. Es waren hauptsächlich Mädchen im Alter zwischen 15 und 17 Jahren, auch Kinder waren darunter.“ 20

Der Historiker Christoph Cluse erläutert: „Die Haussklaven waren im allgemeinen, jedenfalls in Italien, Frauen, und zumeist sehr junge. Nur einige wenige Familien besaßen mehrere zugleich – bis zu drei in Pisa, bis zu sieben in Genua. Der Regelfall war der Besitz von einer einzigen Sklavin. Sieht man sich das soziale Profil der Besitzer an, wie es z.B. im Pisaner Kataster erkennbar ist, so erstaunt die große Bandbreite der Vermögen. Wir müssen uns also vorstellen, dass die betroffenen Sklavinnen im Alltag in diversen Stadtvierteln unter sehr unterschiedlich begüterten und wirtschaftlich tätigen Sklavenhaltern lebten. Sogar in den Ländern, wo die ländliche Sklaverei noch auf den Gütern reicher Familien und geistlicher Institutionen existierte, wirkte die Stadt für die dort lebenden Sklaven als Integrationsfaktor: In Werkstätten, im Haus, auf allen Ebenen der sozialen Hierarchie, bis hinein in die Viertel der einfachen Leute traf man Sklaven an.“ 21

„Besonders traurig war das Schicksal der Sklavinnen. Nicht selten wurden sie Geliebte ihrer Herren, oder arbeiteten für sie in Bordellen und ähnliches. Darüber hinaus konnte sie auch nicht heiraten, denn die Institution der Familie bestand für Sklaven nicht.“ 22

Die versklavten Frauen stammten häufig aus dem einfachen Volk Bosniens: „Ihre Namen waren typisch volkstümlich, so wie Milost, Radost, Dragost, Gojna, Gojislava und ähnliche. In Dokumenten aus dem 13. Jahrhundert treten zu hunderten Namen auf, die auf das charakteristische (g)ost enden: Dobrost, Milost, Drugost, Prvost, Ulkost, Negost.“ 23 Die Bedeutungen der Namen wie „Milost“ – also Barmherzigkeit, Gnade oder Liebe, „Radost“ – Freude oder „Dragost“ – Lieblichkeit, zeugen von einem tiefen Gottesbezug der Eltern. Eine Verbindung zu den „Gottliebenden“, also den Bogomilen, deren Älteste auch den Titel „gost“ trugen, liegt nahe.

Verkauf von Frauen und Kindern auf einem mittelalterlichen Sklavenmarkt
Verkauf von Frauen und Kindern auf einem mittelalterlichen Sklavenmarkt

Doch bei der Ausbeutung junger Frauen machte die unheilvolle ökonomische Allianz aus Macht, Gier und Glaube keineswegs halt. Cluse fährt fort: „Weiter auf der Skala in Richtung Sklaverei lag der ausgedehnte, mehr oder weniger versteckte Handel mit Kindern, vor allem Mädchen, der sich in manchen Ländern entwickelte. Diese wurden zum Teil von weit her geholt und in häusliche Dienste vermittelt. Die Vermittlung erfolgte gegen Gebühr und kommt insofern einem Verkauf gleich, so dass sich auch der Status der Mädchen dem von Sklavinnen annäherte.“ 24

Der bosnische Historiker Halilović führt einen dokumentierten Fall auf: „Im Jahr 1377 gab ein Sklavenhändler aus Florenz das Alter der Sklaven mit ‚zwischen 10 und 30 Jahren‘ an, was belegt, dass darunter viele Kinder waren. Über eine gewisse Katarina wurde berichtet, dass sie erst 8 Jahre alt war, Gojna 12, Draginja 13, Zoja 10, Janja 14, Radoslava 15 Jahre usw. Es gab Sklavinnen, die Mütter mit Kindern waren, so dass häufig ‚Mutter mit einem oder zwei Söhnen‘ vermerkt wurde.“ 25

Und der kroatische Historiker Budak schildert den Fall von Ivica, einem 11jährigen bogomilischen Mädchen aus Bosnien, das in Dubrovnik verkauft wurde: Sie „versicherte vor dem öffentlichen Notar, dass sie die Sklavin eines gewissen Zanin wäre, der sie als seinen persönlichen Besitz behandeln könne.“ 26 Unter welchen Umständen das Mädchen zu dieser Aussage genötigt wurde, die offensichtlich eine bloße Formalität unter Zwang war, wird in dem Rechtsdokument selbstredend nicht erwähnt. Auch von seinem weiteren Leidensweg ist nichts bekannt.

Die "Seelen" von Venedig

Gegen Ende des 14. Jahrhunderts kollidierten diese menschenverachtenden Praktiken so stark mit dem besonders von der Republik Venedig beanspruchten Selbstbild als „Schutzmacht der Christenheit“, dass die dortigen Machthaber sich gezwungen sahen, zu reagieren. In Anlehnung an ähnliche Gesetze der Städte Dalmatiens wurde per Gesetz eine neue Rechtskategorie von Sklaven geschaffen – die anime, das bedeutet „Seelen“. Die Historikerin Juliane Schiel führt aus:

„In dieser Situation griff Venedig mit einer weiteren semantischen Unterscheidung ein, die nicht nur dalmatinische, sondern allgemein europäische Sklavenpraktiken beeinflussen sollte. In den 1380er Jahren ordnete der venezianische Senat an, dass Kinder und Jugendliche, die aus slawischen Regionen nördlich von Korfu stammten, nicht mehr sclavi, sondern anime genannt werden sollten. Korfu liegt direkt am Absatz des italienischen Stiefels und markiert den Eingang zur Adria, der traditionellen Heimatbasis des venezianischen Seeimperiums.

Hafendock von Venedig, am Dogenpalast
Hafendock von Venedig, am Dogenpalast

Offenbar begannen die venezianischen Behörden, zwischen Menschen zu unterscheiden, die über das Ionische, das Mittelmeer oder das Schwarze Meer gehandelt wurden und als Sklaven verschleppt werden konnten, und Vertragsbediensteten aus dem Adriatischen Meer, deren Aufnahme in den Dienst anderen Regeln folgen sollte. Die slawischen anime durften nicht ‚als Sklaven verkauft und gehandelt‘ werden. Sie zu verkaufen, hieß es, sei gegen Gottes Gesetz, ‚da sie Christen waren‘.

Stattdessen durften diese slawischen Kinder und Jugendlichen nur für eine begrenzte Zeit von zehn Jahren in Dienst genommen werden; sie durften nicht weiterverkauft oder außer Landes gebracht werden, sondern mussten während der gesamten Dienstzeit im selben Haushalt bleiben. Auch durften sie die Stadt nicht verlassen, sobald sie freigelassen wurden …

Durch die Übernahme der dalmatinischen Unterscheidung zwischen vorübergehend beschäftigten Wanderarbeitern, die in der Stadt gehalten und geschützt wurden, und verschleppten Menschen, die aus Profitgründen in Übersee gehandelt wurden, suggerierte Venedig, dass gebundene Migranten von der anderen Seite des culfus noster [der Adria] besser behandelt werden mussten als jene, die ab den 1380er Jahren hauptsächlich aus Zentralasien, der Schwarzmeerregion und Afrika importiert wurden …

Die Verordnung des venezianischen Senats von 1386 machte eine ähnliche Unterscheidung bezüglich der Einfuhrbedingungen für anima: Für die Einfuhr einer anima, die älter als zehn Jahre war, musste man bei der Ankunft in Venedig sechs Dukaten bezahlen, für anime, die jünger als zehn Jahre waren, die Hälfte dieser Summe. Offensichtlich war sowohl in Dubrovnik als auch in Venedig ein erheblicher Anteil dieser dienenden Slawen Kinder.“ 27

Dieser politische Schachzug hatte weitreichende Folgen: „Bald nach der venezianischen anime Gesetzgebung erreichte der europäische Fernimport und -einsatz von nicht spezialisierten Dienstleuten seinen Höhepunkt. Von den 1390er bis in die 1440er Jahre waren gekaufte Menschen – überwiegend von der Krim, in zunehmendem Maße auch aus Afrika und noch vereinzelt vom Balkan – in fast jedem städtischen Haushalt der Mittelschicht Europas zu finden … In dieser Zeit verschmolz die dubrovniker Unterscheidung zwischen famuli und sclavi mit dem theologisch aufgeladenen Oberton der venezianischen anime Gesetzgebung. Dem gottlosen Menschenhandel um des persönlichen Profits willen wurde die wohltätige Indienstnahme einer armen Seele durch einen christlichen Herrn zum persönlichen Gebrauch gegenübergestellt.

Im Jahr 1416 verbot das Konzil von Dubrovnik den Menschenhandel generell, ausgedrückt durch die beiden Verben ‚kaufen und verkaufen‘. Der Mensch sei Gottes Geschöpf und nach dem Bilde Gottes geschaffen. Wenn man ‚zwielichtige Geschäfte‘ mit ihnen mache, würde man sie ‚in eine Ware verwandeln‘ und sie ‚wie wilde Tiere‘ behandeln. Ausgenommen von diesem generellen Verbot waren jedoch jene Bürger von Dubrovnik, die einen servus oder ancilla ‚zum eigenen Gebrauch‘ kauften.

Kaum etwas könnte diesen letzten Wandel besser widerspiegeln als die päpstliche Bulle, die Papst Martin V. im Juni 1425 erließ. Es sei die Pflicht eines Christen, so erklärte er, diese armen Seelen zu kaufen, die auf den Sklavenmärkten zum Verkauf angeboten wurden und Christen werden wollten.

Denn wenn die christlichen Händler und Reisenden sie ‚zum persönlichen Gebrauch‘ kauften, würden diese armen Seelen vor der teuflischen Sklaverei der Muslime bewahrt und könnten eine christliche Erziehung in einem lateinischen Haushalt genießen. 

Das war genau die Zeit, in der die Zahl der Sklaven in europäischen Haushalten ihren Höhepunkt erreichte.“ 28

Tätowierung von Kindern mit dem Kreuz – zum Schutz vor Menschenraub und Versklavung

Der bosnischen Bevölkerung blieben als Reaktion auf die harte Realität, von Sklavenräubern ohne ihre Kinder zurückgelassen zu werden, nur Methoden der Abschreckung. Ursprung dieser „Schutzmaßnahmen“ war die bereits beschriebene zunehmende Stigmatisierung des Sklavenhandels mit Christen aus Bosnien in Dalmatien und Italien. Als geschützte „Christen“ galten von Rom als Ketzer gebrandmarkte Menschen wie die Bogomilen aber eben nicht.

So ordnete etwa der Große Rat der dalmatinischen Insel Korčula in einem Dekret vom November 1387 an, dass jeder Sklave, der sich als Katholik zu erkennen gibt, bedingungslos freigelassen werden muss. Nur Kinder der patareni, also von Bogomilen, durften aus Bosnien nach Dubrovnik gebracht werden. 29

Junge Frau mit Tätowierungen zum Schutz vor Verschleppung und Versklavung
Junge Frau mit Tätowierungen zum Schutz vor Verschleppung und Versklavung

Zu den teils grausamen Schutzmethoden der eigenen Kinder gehörten Formen der schwereren und leichteren Verstümmelung. Im späten 14. und frühen 15. Jahrhundert begann die Praxis, Kinder und Jugendliche mit einer Tätowierung mit Motiven von Kreuzen, Sonne, Mond und Sternen sowie dem Kolo zu markieren: „Die Prozedur des Tätowierens lassen sowohl Knaben als auch Mädchen über sich ergehen, und zwar wird damit im Alter von 12 bis 16 Jahren begonnen, also in jenem Stadium, wo die Pubertät gewöhnlich eintritt.“ 30

Katholische Elemente fehlen hier, dagegen erinnern die Symbole teils eher an Darstellungen, wie sie auf den stećci der Bogomilen aus dieser Epoche zu finden sind. 31

Die Eltern hofften, dass dies die Sklavenräuber davon abhalten würde, ihr verkrüppeltes oder mit einem Kreuzmotiv gekennzeichnetes Kind zu entführen. Aufgrund des Verbots des Sklavenhandels mit Christen in Europa mussten die mit Kreuzmotiven tätowierten Sklaven zu weiter entfernten Handelsplätzen wie Alexandria oder Tripolis verschifft werden. Dies verursachte den Sklavenhändlern zusätzliche Kosten und schmälerte ihren Gewinn. 32

In den folgenden Jahrhunderten entstand daraus der Volksbrauch des sicanje bei den katholischen Einwohnern Bosniens und auch Dalmatiens: Arme, Brust, Stirn wurden mit dem Zeichen des Kreuzes und Ornamenten tätowiert, um die tätowierten Personen als Katholiken erkenntlich zu machen. 33 Zunächst als Schutz vor Räubern auf Jagd nach Bogomilen – und in späteren Zeiten, nach der Eroberung Bosniens durch das Osmanische Reich, als Schutz vor den Häschern Carigrads, also Istanbuls. 34

Quellen / vrela / viri / izvori:

  1. Die Bibel in der Einheitsübersetzung von 1980, Universität Innsbruck - Lev 25,44-46
  2. Übersetzung nach: Decrees of the Ecumenical Councils, ed. Norman P. Tanner, II IntraText Edition CT, Èulogos, 2007 - Third Lateran Council 1179 A.D. canon 27
  3. Geschichte der Sklaverei - Mittelalter - wikipedia.de, siehe auch: Michael Zeuske, Handbuch Geschichte der Sklaverei, S. 136 ff.
  4. Übersetzung aus: Juliane Schiel, The Ragusan “Maids-of-all-Work”, in: Journal of Global Slavery 5, Brill, 2020 - S. 142 f. - brill.com
  5. Christoph Cluse, Sklaverei im Mittelalter – der Mittelmeerraum - S. 5 - docplayer.org
  6. siehe Neven Budak, Slavery in Late Medieval Dalmatia/Croatia: Labour, Legal Status, Integration, in: Mélanges de l'École française de Rome / Moyen Âge / Tome 112 - 2000 - 2, Rom, 2000 - S. 745 f. - via journals.openedition.org/mefrm
  7. Smajo Halilović, Trgovina robljem u srednjovjekovnoj Bosni s osvrtom na usoru - S. 39 - muzejibtuzla.podkonac.org; siehe auch: Daniel Farlati, Illyricum sacrum IV - S. 44 f. - Google Books
  8. Übersetzung aus: Paola Pinelli, From Dubrovnik (Ragusa) to Florence: Observations on the Recruiting of Domestic Servants in the Fifteenth Century, in: Dubrovnik Annals, 2008 - S. 60 f.
  9. Cluse - S. 4, 10
  10. Schiel - S. 144
  11. Halilović - S. 41
  12. siehe auch: Bosnischer Kreuzzug - de.wikipedia.org
  13. Übersetzung aus: Mehmed Hodžić, Robovi u srednjovjekovkonj Bosni - S. 24 - academia.edu
  14. Halilović - S. 39
  15. siehe Budak - S. 752 f.
  16. Halilović - S. 41, siehe auch Budak - S. 756
  17. Schiel - S. 145
  18. Übersetzung aus: Budak - S. 749
  19. Übersetzung aus: Elmedina Duranović, Žene iz Bosne na tržištu roblja u Dubrovniku 1279-1301 - in: Filozosfki fakultet u Sarajevu: Radovi, knjiga 3 (Historija, Historija umjetnosti, Arheologija), Sarajevo, 2014 - S. 52 - ff-eizdavastvo.ba
  20. Halilović - S. 37
  21. Cluse - S. 6 ff.
  22. Halilović - S. 37
  23. Halilović - S. 40
  24. Cluse - S. 6 ff.
  25. Halilović - S. 40
  26. Übersetzung aus: Budak - S. 759
  27. Schiel - S. 158 ff.
  28. Schiel - S. 161 ff.
  29. Halilović - S. 38
  30. Die österreichisch-ungarische Monarchie in Wort und Bild: Bosnien und Hercegovina, Hof- und Staatsdruckerei, Wien, 1901 - S. 342 - via austria-forum.org
  31. siehe Ćiro Truhelka, Die Tätowirung bei den Katholiken Bosniens und der Hercegovina, in: Wissenschaftliche Mittheilungen aus Bosnien und der Hercegovina - 4. Band, Bosnisch-Hercegovinisches Landesmuseum Sarajevo, Wien, 1896 - S. 502 f. - via archive.org
  32. siehe auch: Slave trade from Bosnia in the Middle Ages - geni.com
  33. siehe Truhelka - S. 493 ff.
  34. siehe auch: Christian tattooing in Bosnia and Herzegovinaen.wikipedia.org

Bildquellen / vrela slika / viri slik / izvori slika:

  • Frauen, Männer und Kinder auf einem Sklavenmarkt: © die-bogomilen.de
  • Unfreie Männer mit Sicheln bei der Erntearbeit, ca. 1310: Medieval illustration of men harvesting wheat with reaping-hooks, on a calendar page for August. Queen Mary's Psalter (Ms. Royal 2. B. VII), fol. 78v, Public domain, via Wikimedia Commons
  • Papst Gregor IX.: Gregor IX. erkennt die Dekretalien an. Raffael, 16. Jahrhundert. Rom (Vatikan), Stanza della Segnatura - zeno.org
  • Dubrovnik, das frühere Ragusa, an der dalmatinischen Adria-Küste Kroatiens: Ansicht der Stadtmauer von Dubrovnik. JSB, CC BY-SA 3.0 , via Wikimedia Commons
  • Verkauf von Frauen und Kindern auf einem mittelalterlichen Sklavenmarkt: The Slave Market. Jean-Léon Gérôme, Public domain, via Wikimedia Commons
  • Hafendock von Venedig, am Dogenpalast: The Dock Facing the Doge's Palace. Luca Carlevarijs, Public domain, via Wikimedia Commons
  • Junge Frau mit Tätowierungen zum Schutz vor Verschleppung und Versklavung: Mostarac, Public domain, via Wikimedia Commons
Inhaltsverzeichnis
Sebastian Hoblaj