Was bis vor wenigen Jahre nur bloße Vermutung war, lässt sich inzwischen durch Dokumente belegen. Der renommierte bosnische Archäologe und Historiker Dr. Enver Imamović von der Universität Sarajevo erklärt:
„Bosnien gehörte zu den wenigen Ländern, die im Mittelalter über eine Hochschule auf Universitätsniveau verfügten, was den beneidenswerten Entwicklungsstand der Alphabetisierung und Bildung seiner Bevölkerung erklärt … Sie wurde von der Bosnischen Kirche organisiert, und die Vortragenden waren die besten bogomilischen Theoretiker auf dem Gebiet der theologisch-philosophischen Doktrin. Sie war von besonderer Art und einzigartig in Europa, weil ketzerische Studien, die sowohl von der Ost- als auch von der Westkirche aufs Schärfste verurteilt und verfolgt wurden, nur im Rahmen dieser Institution gelehrt wurden.“ 1
Norditaliener studierten in Bosnien
Aus einem Dokument, das in den Archiven der Stadt Turin in Norditalien gefunden wurde, geht einiges Interessante über die bogomilische Universität hervor. Imamović erläutert:
„Aus dem Dokument geht hervor, dass 1387 ein gewisser Jakob Bech aus Chieri bei Turin vor das örtliche Inquisitionsgericht gestellt wurde, weil er beschuldigt wurde, ein Anhänger häretischer Lehren zu sein. In seiner wahrscheinlich unter Folter abgegebenen Aussage beschrieb er, wann und wie er zum Ketzer wurde.
Irgendwann um 1377 überredeten ihn ein gewisser Jacelin Palatia, Petar Patricii und ein Mann aus Bosnien, dessen Namen er vergessen hatte, sich ihrer Gemeinschaft anzuschließen. Er erhielt Belehrungen darüber, was die Gemeinschaft predigte, in Jacelins Schloss – und begann so, den ketzerischen Lehren zu folgen. 2
Internationales Renommee
Bosnien war damals ein sicherer Zufluchtsort für die in vielen anderen Gegenden verfolgten Bogomilen und Katharer. Ihre Universität dort war überregional bekannt. Interessierte aus etlichen Ländern machten sich auf, um dort zu studieren. Imamović erläutert dazu:
„Die vom Turiner Gericht aufgezeichneten Daten stimmen perfekt mit der Situation in Bosnien im 14. Jahrhundert überein. Hier entwickelte sich die Ketzerei so weit, dass sie nicht nur frei befolgt wurde, sondern gewissermaßen als Staatsreligion galt, was in Europa einzigartig war …
Daraus ergibt sich ein klarer Schluss, nämlich dass der Ruf der bosnischen häretischen Universität weit über die bosnischen Grenzen hinaus reichte. Bekanntermaßen ist viel Zeit nötig, um sich ein hohes Ansehen zu erwerben – was bedeutet, dass diese Universität viel älter sein muss als 1347, als sie erstmals in Turiner Aufzeichnungen erwähnt wurde. Es ist gesichert bekannt, dass bereits zu Kulins Zeit hervorragende philosophische und theologische Theoretiker in Bosnien tätig waren … 4
Wo war der Sitz dieser Universität?
Obwohl es keine zuverlässigen Informationen darüber gibt, wo der Sitz dieser alten bosnischen Universität war, wird angenommen, dass es Moštre in der Nähe des heutigen Visoko war. Auch die Ortsangabe aus dem Turiner Inquisitionsprotokoll weist darauf hin: Visoko liegt am Fluss Bosna. Heute ist diese Gegend nordwestlich von Sarajevo auch als das Tal der „bosnischen Pyramiden“ bekannt.
Die stećci der Professoren
Die meisten Dokumente aus dieser Epoche gingen leider in den folgenden Jahrhunderten verloren, so auch die meisten Hinweise auf diese Persönlichkeiten.
Doch auf monumentalen Grabsteinen, die in Bosnien bis heute überdauert haben, finden sich vereinzelt Zeugnisse. Diese stećci genannten Monolithen sind teils mit kunstvollen Reliefs versehen.
Imamović erklärt dazu: „Auf einem Grabstein aus Hum bei Foča ist ein Ältester der Bogomilen von Rang eines gost namens Milutin Crničanin, mit einem Buch und einem traditionellen Stab abgebildet.“ 8
„Auf einem anderen Grabstein aus Hočevlje bei Breza ist ein Ältester der Bogomilen, zweifellos ein Professor, dargestellt – ebenfalls auf einem Stuhl mit Rückenlehne sitzend, und vor ihm ein aufgeschlagenes Buch.“ 9
Quellen / vrela / viri / izvori:
- Übersetzung aus: Enver Imamović, Korijeni i život Bosanskog plemstva kroz historiju, Sarajevo, 2018 - S. 84
- Übersetzung aus: Imamović - S. 84 f.
- Übersetzung aus: Imamović - S. 84 f.
- Übersetzung aus: Imamović - S. 86 f.
- Übersetzung aus: Imamović - S. 86 f.
- siehe Imamović - S. 87
- Übersetzung aus: Imamović - S. 87
- Übersetzung aus: Imamović - S. 87
- Übersetzung aus: Imamović - S. 87
Bildquellen / vrela slika / viri slik / izvori slika:
- Historische Darstellung von Chieri bei Turin, Norditalien: Fondo Antiguo de la Biblioteca de la Universidad de Sevilla, CC0, via Wikimedia Commons
- Stećak von gost Milutin in Hum bei Foča in Bosnien-Herzegowina: Tombstone from Humsko, Foča, Bosnia, CC, via Sketchfab
- Mit Stab in der Rechten und aufgeschlagenem Buch in der Linken: Tombstone from Humsko, Foča, Bosnia, CC, via Sketchfab
- Stećak in Hočevlje bei Breza in Bosnien-Herzegowina: © die-bogomilen.de